Chuck Berry – Nachruf auf den wahren King des Rock’n’Roll

John Lennon sagte einmal, sollte man versuchen, Rock’n’Roll einen neuen Namen zu geben, könnte man die Musikrichtung “Chuck Berry” taufen. Das ist bezeichnend für die Ehrfurcht, die der Schöpfer von “Johnny B. Goode” und “Roll over Beethoven” bei vielen Vertretern seines Fachs genießt. Er starb am Samstag im stolzen Alter von 90 Jahren in seinem Haus in Missouri. Zeit, einen Blick auf die Karriere eines einzigartigen Rock’n’Roll-Pioniers zu werfen.

Durchbruch als Black Hillbilly

Dass er ein Star auf der Bühne werden wollte, war Charles Edward Anderson “Chuck” Berry schon in frühen Jahren klar. Dabei legte der Sohn eines Diakons einen holprigen Start hin. Denn schon mit 18 Jahren wurde der spätere Rock’n’Roll-Star für den Überfall auf mehrere Geschäfte und den Diebstahl eines Autos zu drei Jahren Haft verurteilt. Wieder draußen heiratete er erst einmal und verdiente seine Dollars in wenig glamorösen Jobs, unter anderem am Fließband eines Montagewerks.

Chuck Berry

Chuck Berry in einer typischen Pose.

Schwung nahm die Musikerlaufbahn  Berrys auf, als dieser in der Band des Pianisten Johnnie Johnston den Saxofonisten ersetzte und bald zum neuen Namenspatron der Combo erklärt wurde. Dabei wurde der Sänger und Gitarrist früh für seine ungewöhnliche Mischung aus schwarzem Rhythm’n Blues und weißem Country bekannt – eine Mixtur, die ihm langfristig Türen öffnete.

Wurde Berry anfangs noch als “Black Hillbilly” verspottet, sah er sich schon bald einem mehrheitlich weißen Publikum gegenüber, in den 50er Jahren und den Zeiten der “Race Records” eine absolute Seltenheit für einen afroamerikanischen Künstler. Berry selbst trug seine Haare geglättet und ließ sich seine Haut auf Promotionfotos gerne aufhellen.

Seinen Status als “Crossover Act” nutzte Chuck Berry auch für seinen ersten Hit bei der damals im Rhythm’n Blues-Sektor dominierenden Plattenfirma “Chess”. “Maybellene” schaffte es bis auf Platz 5 der Charts und war damit lange der erfolgreichste Song des Musikers – und das obwohl in den nächsten Jahren viele Stücke folgten, die heute Kultstatus genießen – von “Roll over Beethoven” über “Sweet Little Sixteen” bis hin zu “Johnny B. Goode”, wahrscheinlich eines der beliebtesten Mitgrölstücke aller Zeiten.

Gerissen, knallhart, immer wieder unschlagbar – die verschiedenen Seiten des Chuck Berry

Dass es der hüftenschwingende Weiße Elvis Presley war, der bis heute als “King of Rock’n’Roll” verehrt wird und nicht der für seinen Duckwalk berühmte Chuck Berry, kann man als Ironie der Geschichte oder auch als Folge eines in den 50er und 60er Jahren tief verwurzelten Rassismus in den USA begreifen. Schließlich war Berry ein begnadeter Texteschreiber und Komponist und ein, wenn schon nicht technisch brillanter, dann zumindest wegweisender Gitarrist – alles Eigenschaften, die der begnadete Performer Elvis trotz seines Talents nicht für sich beanspruchen konnte. Vor allem waren Songs wie “Sweet Little Sixteen” oder “Roll over Beethoven” Ausdruck eines Lebensgefühls und sind es für viele heute noch.

Zumindest aber gehörte Berry Ende der 50er Jahre zu den Topverdienern unter afroamerikanischen Musikern, bevor er wieder ins Gefängnis musste – diesmal für Sex mit einer Minderjährigen in einem umstrittenen Gerichtsurteil.

Chuck Berry Duckwalk

Für seinen Duckwalk war Chuck Berry berühmt.

Danach war es zunächst einmal vorbei mit dem Komponieren erfolgreicher Rock’n’Roll-Songs. Dafür etablierte sich Chuck Berry als erfolgreicher Tour-Act und zeigte dabei seine unangenehmen Seiten. Dazu gehörte die Angewohnheit, auf lokale und möglichst schlecht bezahlte Bands zurückzugreifen, mit denen der Sänger mitunter kein einziges Wort wechselte. Auf die Mühe mit Setlisten verzichtete er ebenfalls gerne. Dass das für die armen Zuhörer und die oft völlig überforderten Hobbymusiker mitunter ein Ende mit Schrecken nahm, ist vorstellbar.

Auch sonst verstand es Berry  seine Schäfchen ins Trockene zu bringen, zum Beispiel indem er sowohl die Beatles (“Come Together”) als auch die Beach Boys (“Surfin’ USA”) wegen Urheberrechtsverletzungen verklagte. Ob der Vorwurf des langjährigen Weggefährten Johnnie Johnston, Berry habe seine Mitautorenschaft bei über 50 Songs ignoriert, der Wahrheit entspricht, sei dahingestellt. Unvorstellbar ist es nicht. Denn Berry, der oft genug von skrupellosen weißen Musikveranstaltern und – Produzenten übers Ohr gehauen war, hatte sich früh geschworen, für sein Recht einzustehen – und das tat er manchmal vielleicht ein bisschen zu kompromisslos.

Zum Ende hin ein Verwalter seines Erbes

Chuck Berry im Alter

Auch zum Ende seines Lebens war Chuck Berry fleißig am Touren.

Ein besonderer Coup gelang Chuck Berry 1972, als er mit der Liveversion von “My Ding-a-Ling” seinen einzigen Nummer-Eins-Hit landete – ein alter Song, der zumindest in Berrys Version unverkennbar ganz dem besten Stück des Mannes gewidmet war. Davon abgesehen beschränkte sich der Rock’n’Roll-Star in erster Linie darauf, sein Erbe zu verwalten, unter anderem mit einem Auftritt auf Bill Clintons Inauguration und unermüdlichem Touring – unterbrochen durch einen weiteren Gefängnisaufenthalt für Steuerhinterziehung.

Sogar ein neues Album mit dem Titel “Chuck” nahm Berry auf. Es soll posthum im Laufe von 2017 erscheinen. Ob es Einfluss auf die Erinnerung an den Star nehmen wird, sei dahingestellt. Einen Platz als Legende hat dieser ohnehin sicher.

Denn all seinen Marotten zum Trotz nahm Chuck Berry zwischen Mitte und Ende der 50er Jahre eine Liste an unsterblichen Songs auf, die die Musikwelt ein kleines Stück weit revolutionierten. Neben seinen wunderbar entspannt groovigen Boogie-Riffs und legendären Gitarrenlicks ist es vor allem das Storytelling, das den “Shakespeare des Rock’n’Roll” (Bob Dylan) in den Augen mancher zum wahren King des Rock’n’Rolls macht. Ob er das Lebensgefühl amerikanischer Teenager in “Sweet Little Sixteen” einfing oder in “Memphis Tennessee” Scheidungsdrama und Romanze miteinander mischte, der Autodidakt Berry bewies, das Rock’n’Roll und intelligente Texte zusammenpassen. Oder wie es John Lennon formulierte: “In den 50er Jahren, wenn andere praktisch über nichts sangen, packte Chuck Berry Gesellschaftskritik in seine Songs” – und das in durchschnittlich zweieinhalb Minuten. Das und so manch anderes macht ihm so schnell keiner nach.

 

Fotos:

Chuck Berry by nico7martin/CC BY 2.0

Chuck Berry in the Loop by Paul SablemanVon: Paul Sableman/CC BY 2.0

Chuck Berry by docmonstereyes/CC BY 2.0

Titelbild: Chuck Berry by David/CC BY 2.0