Burnout im Kinderzimmer

Hot Wheels, Johnny Lightning und Co.

Text: Norman Gocke
Mitte der Sechziger war die Welt kleiner Spießerkinder noch in Ordnung. Spielzeugautos wurden fast ausschließlich von Lesney Products hergestellt, unter dem Namen Matchbox vertrieben und entsprachen immer penibel genau den straßenzugelassenen großen Vorbildern, die man jeden Tag ohnehin sah. Mit dem Bedford Milk Float wurden Molkereierzeugnisse durch die Gegend getuckert, mit dem Stake Truck fingernagelgroße Gummischweinchen zum Schlachthof transportiert und der dunkelgrüne Morris Minor sah im Maßstab 1:64 genauso langweilig aus wie in echt. Doch genau wie im wahren Leben sorgte der Muscle Car War Ende der Sechziger auch für Aufruhr im Kinderzimmer und performance-orientierte Kids, die mit Gummischweinchen und Müllautos noch nie viel anfangen konnten, drehten 1968 im Spielwarengeschäft nicht weniger durch als ihre großen Brüder beim Dodge-Händler. Mattel brachte die Hot Wheels an den Start und sagte mit wilden Muscle Car-Miniaturen den britischen Matchbox-Autos mit ihren grobstolligen Gummireifen den Kampf an…

Während die PS-Schlacht auf den Highways eskalierte und die Hersteller immer brutalere Big Blocks in zweitürige Mittelklasse-Coupés stopften, wurde Hot Wheels der allgemeinen Leistungshysterie mit Leicht-laufrädern (Redlines genannt) aus Hartplastik gerecht, die im Gegensatz zu den Regular Wheels bei Matchbox den kleinen Racern ganz andere Endgeschwindigkeiten auf Muttis frisch gebohnertem Küchenfußboden erlaubten. Doch nicht nur das! Alle 16 („The original 16“) Hot Wheels-Modelle im Premierenjahr ’68 hoben sich auch farblich stark von den bürgerlichen Miniaturen aus dem Hause Matchbox ab. Die sogenannten Spectraflame-Farben ließen mit ihrem Metallic-Effekt die kleinen Renner wie galvanisiert wirken, keine Chance für Matchbox mit seiner Wasserfarbkasten-Palette in uni. Doch nicht nur Lack und Reifen ließen minderjährige Autojunkies abgehen. Die Modellpalette an sich war schon geil genug.
Nicht ein Auto der 16 Erstgeborenen rollte im Originalzustand vom Band. Sidepipes, dicke Pellen und ein amtliches Keilfahrwerk waren selbst am Cadillac Eldorado eine Selbstverständlichkeit, es gab heiße Mopars, coole Camaros und wer es schon als Kind ganz heftig brauchte, kaufte sich gleich den Deora Pick Up (eine Design-Studie von Dodge)

oder den gechoppten Chevy Fleetside Pick Up mit Phantomgrill.

Trotz Linksverkehr war man auf der Insel nicht ganz blöd. Bei Matchbox reagierte man schnell und brachte bereits 1969 die ersten Superfast-Modelle auf den Markt. Genau wie bei Hot Wheels hatten die Superfasts Leichtlaufräder, um auf den immer beliebter werdenden Autorennbahnen mit Loopings und Rampen an den Hot Wheels dran zu bleiben. Im Gegensatz zu den Amis von Mattel setzte man in erster Linie auf High Performance-Kost aus Europa. Iso Grifo, Lambo Miura und Lotus Europa wurden als erste ohne die leistungsfressenden Regular Wheels montiert. Supersportwagen mit Treckerreifen gelten außer in Alabama ja auch als eher schwer verkäuflich. Bereits 1970 hatten die Superfast-Räder die Regular Wheels bis auf wenige Ausnahmen fast gänzlich verdrängt. Ob im Kinderzimmer, auf dem Schulhof oder auf dem Side Walk, überall zählte nur noch Speed und es wurden wilde Rennen um die Autos des jeweils anderen gefahren. Hot Wheels legte im selben Jahr ebenfalls eine Schüppe drauf. Die 1970er Camaros, Thunderbirds und Barracudas ließen von vornherein die Motorhauben zu Hause und zeigten ihre verchromten Achtzylinder.  Und als die großen Muscle Car-Vorbilder aus Detroit zum 1970er Modelljahr mit wilden Luftleitwerken protzten, schickte Hot Wheels die nicht weniger prollige Spoiler Series ins Rennen. Dass man gegenüber so viel Wahnsinn immer noch zu langweilig war, wusste man bei Lesney genau. Deshalb ragten Anfang der Siebziger bei Matchbox zaghaft auch die ersten V8-Maschinen aus aufgesägten Motorhauben. Den Mercury Cougar gab es fortan als bösen „Rat Rod“, der Fastback-Mustang wurde gleich mit einem fetten Kompressor bestückt und sogar der brave Ford Capri bekam einen brutalen Achtender zwischen die Kotflügel gestopft. Den 68er Dodge Charger brachte man gleich als alles vernichtenden Dragster.

Im Gegensatz zu den realen Vorbildern machte die Ölkrise den Miniatur-Muscles nicht zu schaffen. Während den Eisenkolossen aus Übersee zunehmend PS und Verdichtung genommen wurde, drehten die Produkt-Designer bei Hot Wheels und Matchbox fröhlich weiter am Rad. Neue Modelle wurden produziert, alte mit freshen Farbkombinationen oder anderen Rädern modernisiert und wenn gar nichts mehr ging, waren Sondermodelle mit Action Hero-Bedruckung wie Hulk, Captain America oder He-Man (gab’s nur in Frankreich) zumindest bei Hot Wheels immer ein Garant für Absatz.

Nach der Ölkrise war auf den Straßen die PS-Euphorie zunächst gedämpft und nicht wenige mussten es sich genau überlegen, wie oft sie in der Woche tanken konnten und wollten. Dicke Achtzylinder mit über 300 PS blieben für viele unerreichbar, so dass die kleinen Autos von immer mehr Erwachsenen als Muscle Car-Methadon entdeckt wurden und sich allmählich im Laufe der frühen Achtziger eine ernstzunehmende Sammlerszene entwickelte, bei der die Preise im Verhältnis zur Fahrzeuggröße nicht weniger abgehoben sind als bei den realen Vorbildern. 2007 erzielte ein 1971er Plymouth Hemi ’Cuda Convertible auf der RM Auction in Scottsdale/Arizona einen Erlös von 2,2 Millionen US-Dollar.

Bruce Pascal, einem Hot Wheels-Sammler aus Washington, D.C., war ein pinker VW Bus von 1969 vor kurzem 72.000 Dollar wert. Bei dem „Rear-Loading Volkswagen Beach Bomb“ handelt es sich um einen Prototypen, von dem in dieser Farbgebung weltweit nur zwei Exemplare bekannt sind. Wenn man bedenkt, dass der kleine VW mal eben fast 500 PS weniger als der ’Cuda Convertible hat, von dem 1971 immerhin fast inflationäre 11 Exemplare mit Hemi gefertigt wurden, sind 72.000 für ein Spielzeugauto gefühlt mehr als 2,2 Millionen für ein Auto, was immerhin bei jedem Gasstoß den Asphalt umpflügt.

1997 war das hart umkämpfte Rennen zwischen Matchbox und Hot Wheels nach fast drei Jahrzehnten entschieden. Mattel übernahm den Spielwarenkonzern Tyco, zu dem mittlerweile auch Matchbox gehörte. Trotzdem designen und produzieren beide Marken weiterhin bis heute unabhängig voneinander ihre Modelle. Und heiße Muscle Cars im Hosentaschenformat gibt es ungeachtet der neuzeitigen Plastikvorbilder auf den Straßen immer noch. Die Suche nach reifenmordender Leistung und Beschleunigung ist halt ein Ur-Trieb des Menschen. Von Kindesbeinen an…

Aktuell:
Elliot Handler,
Mitbegründer der Firma Mattel Inc., dem größten Spielzeugunternehmen der Welt ist am Donnerstag, den 21.07.2011 verstorben. Der Macher der Hot Wheels Modellautos und der Vater von Barbie und Ken wurde 95 Jahre alt.