The Ace Cafe

THE ACE CAFE – Tea, Chips and Speed

Hätte man bei der obersten Londoner Baubehörde in den stockkonservativen Dreißigern gewusst, dass das Ace Cafe einmal Europas wildeste Raststätte und Treffpunkt für Motorrad-Rocker und Outlaw Leatherboys werden würde, man hätte nicht einmal einen Kaffeeautomaten mit Fahrradständer genehmigt. Eigentlich wollte man nur eine 24 Stunden Imbiss-Bude mit Parkplätzen vor der Tür bauen, in Wirklichkeit errichtete man aber das Epizentrum einer neuen Jugendkultur und den Namensgeber einer neuen zweirädigen Fahrzeuggattung:

Das Ace Cafe

1938 eröffnet und bereits 1940 von der deutschen Luftwaffe in Schutt und Asche gebombt. Wer kurz vorm 2. Weltkrieg baut, der baut halt zweimal. 1948 wurde das Ace Cafe an der North Circular Road, einer Umgehungsstraße im Londoner Süden, wiedereröffnet und versorgte 24 Stunden am Tag Trucker, Durchreisende und Schichtarbeiter der naheliegenden Fabriken mit Heißgetränken und fettigem Essen. Ein Jahr vor der feierlichen Reopening Party, zerlegten Halbstarke 1947 in Kalifornien in bester Luftwaffe-Manier das beschauliche Städtchen Hollister. Anlass war eine Motorradsportveranstaltung, Resultat war die Geburtsstunde des Rockertums. Das Life-Magazin berichtete über die Krawalle, Heranwachsende weltweit sparten auf eine eigene Lederjacke und träumten vom eigenen Feuerstuhl. Ohne Schalldämpfer gegen Bürgertum und Elternhaus. Insbesondere in Großbritannien, dem damaligen Mutterland der schnellsten Serienmotorräder, drehten die Jugendlichen durch und das immer geöffnete Ace entwickelte sich zu dem Anlaufpunkt der neuen Subkultur.

Die stählernen Produkte von Norton, Triumph, Vincent, BSA und Royal Enfield sorgten für höchste Erregung und Euphorie bei geschwindigkeitssüchtigen Jugendlichen, die sich mit den britischen Qualitätserzeugnissen jenseits der 100 mph Marke (“the ton”) schossen und für sprunghaft ansteigende Todesfälle in der Verkehrsstatistik des Landes sorgten. Amerika hatte seine One Percenter, Great Britain die Ton Up Boys.

Heute sorgt das iPhone als meist verbreitetes Statussymbol unter Jugendlichen für kollektive Massenverblödung und verkrüppelte Touchscreen-Finger. Vor 60 Jahren setzte der Besitz einer schweren Maschine Mut, Können und Todesverachtung voraus und ein Fehler hatte schwerwiegendere Folgen als das Nichtakzeptieren einer Freundschaftsanfrage oder einen krummen Daumen.

Marlon Brando war 1953 nicht mobil erreichbar, dafür aber schnell unterwegs. Als Rocker-Präsi in der 1953er US-Produktion Der Wilde (The Wild One), die die Ereignisse von Hollister filmisch aufbereitete, fuhr auch Brando eine britische Maschine, eine Triumph Thunderbird. Motorräder von der Insel waren cool, Harleys und Indians eher schwerfällige Arbeitspferde, die ihren Dienst als Behörden-Moppeds für Dorf-Sheriffs und Postboten verrichteten.

Die Kids der Fünfziger waren verrückt nach Bikes aus dem Königreich und so wurde es mit wachsendem Wohlstand auch auf dem Parkplatz des Ace Cafes tagtäglich voller und die Ton Up Bewegung nahm ungebremst Fahrt auf. Angesagter Treff hin oder her, Alkohol wurde im Ace nicht ausgeschenkt und deshalb versuchte man sich auf andere Art und Weise die Gesundheit zu ruinieren. Bei den Record Races fuhr man gegen die Jukebox. Solange wie Johnny Kidd & The Pirates aus der Wurlitzer plärrten, galt es, die North Circular in Richtung Osten unter den Bahngleisen entlangzubrettern, bis zur Shell-Tankstelle am Kreisverkehr und wieder zurück. Wer seine Maschine beherrschte, traf am Cafe zum Schlussakkord wieder ein, Kurvenbremser erreichten das Ziel während die B-Seite dudelte und zahlten unter dem Spott der anderen Hobby-Racer die Zeche. Nicht selten verliefen die Record Races tödlich und man bezahlte mit dem Leben statt den Kaffee der anderen.

Die untermotorisierte örtliche Polizei stand dem hochoktanigen Treiben mit ihren Morris Minor Streifenwagen lange hilflos gegenüber, bis die City of London Mitleid mit ihren Bobbies hatte und Triumph Thunderbirds als Dienstmotorräder beschaffte. Illegale Straßenrennen, tödliche Unfälle, Verfolgungsjagden mit der Polizei: Das Ace Cafe wurde zur Legende und jeder britische Jugendliche fühlte sich nicht als Mann, solange er nicht ein Rennen gegen eine Stereo-Anlage gefahren hatte.

Die Sechziger, das vielzitierte Jahrzehnt der Umbrüche und Veränderungen, machten auch vor dem Ace nicht halt. Der Umgang wurde rauer, die Maschinen schneller, die Todeszahlen auf Britanniens berühmtester Umgehungsstraße eskalierten.

Die Ton Up Boys interessierte nichts außer Geschwindigkeit. Deshalb starben sie allmählich aus. Die Rocker-Bewegung fand bei der Nachfolge-Generation nämlich immer mehr Anhänger und parallel dazu entwickelte sich die rivalisierende, rollerfahrende Mod-Kultur. Neben Motorradfahren interessierten sich die Rocker für Schlägereien, Drogen und Club-Meiereien. Das Klima wurde deutlich aggressiver und es drehte sich nicht mehr nur alles um Geschwindigkeit und Zweiräder. Die Polizei verstärkte die Präsenz, die Sensations-Presse sprach vom Suicide Club und in den Abendstunden und am Wochenende war es am Ace Cafe brechend voll. Rund um die Uhr wurden Rennen gefahren, Fahrer verunglückten, die Polizei hetzte mit Blaulicht hinterher, der Shell-Tankwart am Wendekreis versteckte die Gejagten in seiner Werkstatt, jeder hatte die Chance, König für eine Nacht zu sein, Ruhm und Frauen zu ernten. Die üblichen Abgrenzungsmechanismen funktionierten bei der Masse an Besuchern nicht mehr und die ganz ambitio-nierten Jungs fingen an ihre Maschinen kompromisslos umzubauen, um weiter Distanz zum Pöbel zu wahren. Die Geburtsstunde der Cafe Racer. Man nehme ein handelsübliches britisches Motorrad und versetze es optisch und technisch in den Zustand einer Rennmaschine. Stummellenker für aerodynamischere Sitzhaltung, Einzelsitzbank mit Höcker, Drehzahlmesser, polierter Tank aus Alu, Sportauspuff ohne lästige Schalldämpfung, konsequente Demontage aller überflüssigen Anbauteile, wie Rückspiegel und Chrom-Geraffel – fertig ist der Cafe Racer. Wer es sich eh schon mit der Obrigkeit verscherzt hatte oder bereits ohne Führerschein weiterfuhr, der demontierte gleich den Frontscheinwerfer und schraubte sich stattdessen eine GFK-Verkleidung an den Lenker. Die höllenlauten Cafe Racer waren verdammt schnell, wurden von der Polizei gejagt und ver-breiteten Angst und Schrecken im Linksverkehr der Insel. Das Ace Cafe wurde somit zur einzigen Raststätte der Welt, nach der eine Fahrzeuggattung benannt ist.

Genauso wie die Rocker Anfang der Sechziger allmählich die Ton Up Boys aus dem öffentlichen Straßenraum verdrängten, standen Ende der Roaring Sixties die Hippies vor der Tür. Die Haare wurden länger, Filme wie Easy Rider lenkten den jugendlichen Fokus auf Freiheit und individuelle Mobilität, nicht auf Straßenrennen und Siegermentalität. Es wurde Speed gezogen, statt gefahren. Gleichzeitig nahmen die Marke-tingfuzzis der Autohersteller junge Menschen als potenziellen Absatzmarkt ins Visier. Grelle Farben, 100 PS und Rallye-Streifen ab Werk führten dazu, dass viele Fahranfänger von vornherein vom Ford Cortina Lotus und nicht länger von einer BSA Rocket 3 träumten. Als Konsequenz dieses Wertewandels stürzte Ende der Sechziger die britische Motorradindustrie in eine schwere Krise, von der sie sich nie wieder erholen sollte. Und als wenn das Ace Cafe wirtschaftlich von den Zulassungszahlen im Motorradsegment abhängig gewesen wäre, gingen auch hier 1969 die Lichter aus. Ein Reifenhändler bezog die Immobilie und von nun an drehte sich an der North Circular Road alles um Radialreifen und nicht mehr um Record Races. Die übriggebliebenen London Leatherboys waren obdachlos und gründeten voller Verzweiflung in den Siebzigern ein neues Ace Cafe im drei Meilen entfernten Perivale, welches jedoch den Status des Originals in den folgenden Jahren nicht im Geringsten auch nur ankratzte. Die Zeiten für Rocker waren hart. Die Ladies standen von nun an auf Discotizer in weißem Satin und nicht auf Greaser in schwarzem Leder. Ace Cafe 2 hielt nicht lange durch und die Geschichte der tapferen Record Racer verschwand spätestens in den Achtzigern in einem Nebel der Verklärung , Legendenbildung und des Hörensagens. Vergessen wurde Britanniens Raststätte der Subkulturen jedoch nie. Die Cafe Racer waren weiterhin unüberhörbar im Land unterwegs.

Lediglich etwas ziellos, ihres Heimatsterns beraubt.

Mark Wilsmore war erst 12 Jahre alt, als das Ace seine Schwingtüren schloss, doch seiner Faszination für Londons wildesten Parkplatz der frühen Nachkriegsjahrzehnte tat dies keinen Abbruch. 1994 fragte Mark bei Just Tyres, dem Nachmieter des Ace Cafes an, ob er auf dem Firmengelände anlässlich des 25. Jahrestages der Schließung des Cafes eine Reunion Party feiern dürfe. Der Reifenhändler zeigte sich begeistert und am 4. September 1994 verstopften über 5.000 Bikes die North Circular Road. Großbritannien hatte das Ace Cafe nicht vergessen. Alle waren gekommen, die damals nicht unter einen Laster gerieten. Alt und Jung feierten und burnten bis tief in die Nacht und am nächsten Morgen, während der Aufräum- und Bergungsarbeiten, reifte in Mark der Entschluss, das Ace Cafe an historischer Stelle wieder aufleben zu lassen. Eine amerikanische Macher-Geschichte auf europäischem Boden. 2001 zog Just Tyres aus und Mark Wilsmore eröffnete das Ace Cafe wieder. Die Wiedereröffnung kam gut an und zwischen April und Oktober ist die Hütte bis heute an jedem Wochenende voll. Richtig knallen wird es wieder zwischen dem 13. und 15. September diesen Jahres. Mark Wilsmore feiert groß den 75. Geburtstag des Ace Cafes und alle sind eingeladen.

Dennoch: So wild wie in den 50ies und 60ies wird es an diesem Ort nie wieder werden. Die überlebenden Veteranen von einst lassen es dank künstlicher Hüften etwas ruhiger angehen, ein Retro-Aufguss kann noch so Period Correct sein, der Spirit und die Energie einer Epoche entstehen durch gesellschaftliche Umstände und Umbrüche, nicht durch perfekt restaurierte Cafe Racer Bikes und Diner-Möbel im Vintage-Stil. Zu allem Überfluss hängt im Jahr 2013 in London an jeder Straßenecke eine Überwachungskamera mit Ge-sichtserkennung und Kennzeichenscanner. Record Racing in einer Stadt, in der man nicht mal mehr unbeobachtet eine Kippe auf den Asphalt schnippen kann…!?

Text: Norman Gocke