Rauchender Racer – Stock Car Legende Dick Trickle

Unterschicht-TV sei dank, verstehen viel zu viele Menschen in Deutschland neuerdings unter Stock Car Racing das Herumrumpeln semi-prominenter Volltrottel, die kurz zuvor aus Big Brother Containern oder Dschungel Camps entlassen wurden, in schrottreifen Gebrauchtwagen in Gelsenkirchener Fussballstadien. Das ist falsch. Unter “stock” (zu deutsch: Lager) versteht der amerikanische Benzinjunkie ein seriennahes Autos. Zumindest bis Ende der Achtzigerjahre waren amerikanische Stock Car Racer deshalb optisch und technisch ihren straßenzugelassenen Pendants sehr ähnlich.

 

Die beliebteste amerikanische Rennklasse hat ihren Ursprung im Moonshining, dem Schwarzbrennen von Hochprozentigem. Schwarzbrennen hat in den Südstaaten der USA, wo man ohnehin nicht gerne von irgendjemandem und erst recht nicht von der Regierung abhängig ist, eine jahrhundertealte Tradition. Während der Prohibition von 1920 bis 33 boomte dieser nicht ungefährliche Teil der Schattenwirtschaft wie nie zuvor. Distillen explodierten, Menschen erblindeten oder starben an schlechtem Fusel oder bei Schießereien mit den Cops beziehungsweise Vertretern des Bureaus of Prohibition. Präsident Roosevelt setzte sich 1933 in Trinkerkreisen selbst ein Denkmal und hob das Alkoholverbot mit dem Cullen-Harrison-Act auf. Doch die Black Burner in den Wäldern der Appalachen und Niederungen der südlichen Sümpfe distillierten munter illegal weiter. Einerseits aus Gründen der Steuerersparnis, andererseits hatte ihnen der Whiskey aus dem Liquor Store nicht genug Umdrehungen.

Um den verbotenen Stoff über schlecht befestigte Nebenstraßen zu transportieren, bevorzugten die Schwarzbrenner in erster Linie Fords aus den Vierzigern, die mit ihren Flathead-V8-Motoren eine bezahlbare Basis für effektives Hobby-Tuning boten. Geschickte Schrauber holten über 150 PS aus den Gußklötzen, so dass Dorfsheriffs in serienmäßigen Chevys mit Sechszylindermaschine nur einer Staubwolke am Horizont hinterher fuhren und die Schwarzbrenner ihre Ware termingerecht ausliefern konnten. Aus der Begeisterung für Schnaps und schnelle Autos erwuchs eine rapide wachsende Szene wahnsinniger junger Männer, die sich ab Mitte der Dreißiger an Wochenenden auf provisorisch angelegten Dirt Tracks oder am Strand vobn Daytona Beach zusammenrotteten und Rennen fuhren. Klar rempelte man sich an und niemand kam ohne Blechschaden nach Hause, aber um so genannte Demolition Derbies, wie man sie in Gelsenkirchen unter Stock Car Rennen versteht, handelte es sich nicht. Stock Car Racing war Ende der Vierziger das Hot Rodding der Rednecks. Und so wie Wally Parks im Kalifornien der späten Vierziger mit Gründung der NHRA, der National Hot Rod Association, Ordnung in das pubertäre Verkehrschaos brachte, gründete 1948 der 38-jährige Bill France in Daytona Beach, Florida, die National Association for Stock Car Auto Racing, kurz: NASCAR. Die NASCAR holte den Stock Car Sport aus der provinziellen Versenkung, schuf ein allgemeingültiges Regelwerk und damit die Grundlage für eine überregionale Meisterschaftsserie, in der die meisten Fahrer eine kriminelle Vergangenheit als Schnapsschmuggler vorweisen konnten.

 

Knapp 70 Jahre später ist NASCAR (vor allem im Süden, wen wundert’s…) die erfolgreichste und publikumsstärkste Rennsportserie der USA. Aber im Gegensatz zur wilden Anfangszeit ist der Zirkus heute perfekter, glatter und durchgestylter. Die Autos basieren schon lange nicht mehr auf Serienfahrzeugen mit Gesicht und Charakter, sondern sind windkanaloptimierte Bubbelblasen, die wegen dem Car of Tomorrow Reglement alle gleich aussehen und nur durch aufgeklebte Scheinwerfer und Kühlergrills von den Fans als Ford, Chevy oder sogar japanischer Toyota (!) identifiziert werden können. Die Fahrer wurden von Werbekunden, Ernährungsberater und Mediencoaches glattgeschliffen und gleichgeschaltet. Hier rebelliert keiner mehr in der Boxengasse, keiner sagt was er denkt, sofern er überhaupt noch eine eigene Meinung hat. Vor den Rennen isst man artig seine Kohlenhydrate oder gibt nach dem Rennen als sponsorenbeklebte Litfaßsäule ein phrasenhaltiges TV-Interview ohne Nährwert. Wo Milliardenumsätze im Spiel sind, ist kein Platz mehr für Querschläger, Moonshine Racer und Kontroversen.

Gehen wir lieber back in time, als Autos noch geile Karren und Rennfahrer keine Markenbotschafter für Energy Drinks und Hausratversicherungen waren und schauen auf das bewegte Leben von Dick Trickle zurück, dem besten NASCAR-Fahrer aller Zeiten, der nie ein Rennen gewann.

Dick Trickle wird für immer der Beste sein. Gerne zündete sich Dick während des Rennens auf der langen Geraden eine Kippe an oder trank einen schönen schwarzen Kaffee. Dass er dabei überholt wurde, war zweitrangig. Obwohl Dick nicht in den Südstaaten geboren wurde, sondern 1941 in Wisconsin das Abblendlicht der Welt erblickte, war er der größte Rebel Redneck des Rennsports, den es je gegeben hat. Aufgewachsen in bitterarmen Verhältnissen und auf Sozialhilfe angewiesen, war The White Knight es von Kleinkindesbeinen an gewohnt, hart zu kämpfen um zu bestehen. Als Achtjähriger fiel er zwei Etagen tief und brach sich die Hüfte. Die Ärzte gaben ihn schon bald auf und prognostizierten ihm ein Leben als Krüppel. Doch Dick kam aus eigener Kraft nach einem Jahr wieder auf die Beine, wenngleich er Zeit seines Lebens etwas humpelte. Mit neun Jahren stand für ihn fest, Rennfahrer zu werden. Mit 16 kaufte er sich von hart erarbeiteten 100 Dollar einen 1950er Ford und war wieder pleite. Dick musste sich entscheiden, ob er ein Alltagsauto oder einen “Rennwagen” besitzen möchte. Gearhead Trickle entschied sich zum Glück für Letzteres, schweißte sich aus Schrott einen Überrollbügel in die Shoebox, stellte ein do-it-yourself Stock Car auf die Räder und ging ab sofort wieder zu Fuß zur Arbeit. Sein erstes Rennen fuhr der Junge aus Wisconsin Rapids 1958 und ging mit dem langsamsten Auto des Feldes an den Start. Doch Ehrgeiz kann Geld ersetzen. Für die nächste Saison baute sich Dick einen 1956er Ford auf, mit dem er gleich im ersten Rennen zweiter wurde. Leben konnte man von Matschacker-Rennen am Wochenende natürlich nicht, weshalb der unter Höhenangst leidende Hobby-Racer jahrelang für eine Telefonfirma arbeitete und Masten rauf und runter kletterte…

“Dick Trickle was a 5′-nuthin, tough as nails, chain smoking, beer swilling, old time hero of the short tracks.

 

1961 heiratete er Darlene und wie es sich für Rednecks gehört, zogen die beiden in einen Trailerpark. Darlene stand immer hinter ihrem Mann und gemeinsam beschlossen die beiden Mitte der Sechziger, dass Dick keine Telefonmasten mehr hochklettern solle und stattdessen seine Familie mit Rennerfolgen ernähren könne. Die Familie tingelte einige Jahre über die Rennstrecken des Mittleren Westens, auf denen Dick alles abräumte was es zu gewinnen gab, obwohl er unter Amateurbedingungen selbst an seinen Kisten in einer Scheune mit gestampftem Lehmboden schraubte, ehe ihm mit 29 Jahren der Sprung in den NASCAR-Zirkus gelang. Doch die ganz große Bühne war nicht so wirklich der natürliche Lebensraum für einen einfachen Jungen aus den Maisfeldern Wisconsins. Zwar blieb Dick bis 2002 NASCAR-Fahrer, lebte ganz gut von seinem Traumjob, und verließ die Serie erst mit 61 Jahren, aber in 303 Rennen war ein mickriger 15. Platz 1989 sein größter NASCAR-Erfolg. Sein ungesunder Lebensstil könnte ein Grund für die Erfolglosigkeit gewesen sein. Kaffee und Kippen gingen immer vor, auch während des Rennens. Ganz unabhängig davon, ob man sich gerade erbitterte Zweikämpfe lieferte oder nicht. Bevor er NASCAR fuhr, gewann er so ziemlich jedes Short Track Rennen in Wisconsin. Ein NASCAR-Rennen über 200 Runden beziehungsweise 500 Meilen (~806 Kilometer) ist jedoch für einen nikotingeschwächten Körper schon eine ganz andere Hausnummer. Und als sich die viel sicheren Integralhelm Ende der Siebziger durchsetzten, bohrte Dick ein Loch in den damals noch sehr hoch gezogenen Kinnbereich seines Helms, um auch weiterhin rauchen zu können…

Nachdem er sein 32 Jahre währendes Engagement in der Königsklasse des amerikanischen Tourenwagenrennsports 2002 beendet hatte, trat die Startnummer 99 als gefeierte Legende ab und Dick fuhr bis zu seinem Tod Stock Car Rennen in kleineren Klassen. Am 16. Mai 2013 erschoss sich Dick Trickle mit einer Schrotflinte auf dem Forest Lawn Friedhof in Boger City, North Carolina, weil Ärzte seine chronischen Schmerzen nicht in den Griff bekamen. Wie es sich für einen real Redneck gehört, wurde seine Leiche hinter seinem Pickup gefunden.

Text: Norman Gocke