Horatio XVI

Horatio schrieb:

Das Pferd ist oft klüger als sein Reiter.

(deutsches Sprichwort)

Unterhalten sich zwei Pferde…

Das neue Jahr fing auf dem Land langweilig an. Immer noch war der Schnee nicht völlig weggetaut. Es war still, kalt, grau und diesig. Nicht, dass es uns was ausgemacht hätte, wir haben gerne unsere Ruhe und das letzte Jahr war für unseren Geschmack aufregend genug gewesen. “Langweilig”, das heißt auch, dass die Zeit nicht so schnell vergeht, also hat man sozusagen mehr davon.

Manchem schlägt die Winterstimmung ja auf das Gemüt, uns eher nicht. Jede Jahreszeit hat ihre Vorteile und im Winter hat es zum Beispiel nicht ganz so viel Arbeit. Das hat die Natur in der gemäßigten Klimazone so eingerichtet, dass da alles ein bisschen ruhen darf. Man steht auf, füttert die Tiere, reinigt die Ställe, vielleicht repariert man die eine oder andere Kleinigkeit, man isst was, trinkt viel, liest was, man füttert die Tiere, man legt sich schlafen. Das ist auch völlig in Ordnung.

Neulich aber, da habe ich doch gedacht, dass meine geistige Gesundheit sich gesagt hätte: „Nöö, hier bei dir ist es mir doch ein bisschen zu still, Horatio. Ich pack mein Bündel, schnür meine Schuhe und setz mir diesen Hut auf. Das heißt: Lebewohl! Ich bin dann mal weg.“

Denn den einen Morgen, nachdem ich die Pferde gefüttert hatte und gerade beim Misten war, hörte ich plötzlich fremde Stimmen. Das hielt ich für so gut wie unmöglich, war doch unser Hof inzwischen sehr gut gesichert. Es konnte niemandem so einfach gelingen, unbemerkt auf unser Gelände zu kommen. Die Wachgänse hätten schon lange vorher Alarm geschlagen und unsere brandneuen Sprengfallen hätten das ihre getan. Wenn nun Nic in fremden Zungen gesprochen hätte, aber die sah ich durch das hell erleuchtete Schlafzimmerfenster im Haus, wo sie mit der Wäsche beschäftigt war.

Also suchte ich sorgfältig alles ab, ohne jedoch irgendeine Menschenseele zu treffen oder zu finden und ich dachte schon, dass es sich um einen bösen Streich meiner Sinne gehandelt hätte. Verwundert ging ich zurück zum Pferdestall, wobei ich bemerkte, dass die Stimmen nun wieder lauter wurden. Geduckt schlich ich mich an und spähte vorsichtig um alle Ecken. Wieder war nichts außergewöhnliches zu bemerken. Das machte mich langsam fertig, ich hörte deutlich zwei miteinander reden. Ich beschloss, eine Pause einzulegen und setzte mich auf einen Heuballen vor eine der Pferdeboxen, wo ich einen großen Schluck aus dem Flachmann nahm, den ich für Notfälle in der Tasche meiner Latzhose bereit hielt. Vielleicht arbeitete ich doch zuviel für diese Jahreszeit. Vielleicht trank ich auch zuviel.

Da! Ganz deutlich. Ich verstand nun jedes einzelne Wort. Jetzt wusste ich auch, wer da sprach. Es bestand kein Zweifel, es waren definitiv Parmenides und Popper, zwei unserer besten männlichen Pferde, Die unterhielten sich angeregt miteinander als wäre ich gar nicht anwesend. Ich traute mich nun kaum mehr in ihre Richtung zu blicken, denn ich befürchtete, dass sie misstrauisch würden und aufhörten. Um ehrlich zu sein wollte ich gerne wissen, was sie sich erzählten und was Pferde sich überhaupt so erzählten.

„…vielleicht ist Gott tot.“ meinte Parmenides.
„Woran soll er denn gestorben sein?“ fragte ihn Popper.
„An seinem Mitleid mit den Pferden.“
Popper schaute sich um „Uns geht’s doch prima. Wir leben im besten aller möglichen Ställe.“
„Ich könnte es mir besser vorstellen.“
„Und wie?”
„Mehr Stuten und so.“
Darauf wieherten beide frech.
Dann meinte Popper: „Wenn es aber nicht „wenige Stuten“ gäbe, hätte „viele Stuten“ keinerlei Bedeutung für uns.“
„Damit begnügst du dich? Verlangst du nicht nach mehr? So wird nie ein Überpferd aus dir!“
„Och, wem es immer nach mehr gelüstet, der wird nie satt. Ich bin zufrieden.“
„Pferd! Wenn alle Pferde danach gehandelt hätten, wären sie immer noch wie all die anderen Tiere und hätten sich diese nie Untertan gemacht. Guck dir den Mensch da an. Glaubst du, der würde uns dienen, wenn das Pferd sich nicht über ihn erhoben hätte?“
„Stimmt natürlich. Irgendwie tut der mir leid.“
„Da haben wir’s. Am deinem Mitleid könnte Gott auch gestorben sein.“
„So kenn ich dich gar nicht. Du glaubst doch gar nicht an Gott.“
„Ich sage nicht, dass es ihn gibt und ich sage nicht dass es ihn nicht gibt.“
„Wenn du nicht weißt, ob es ihn gibt, wie kannst du dann behaupten, dass er gestorben sei?“
„Ich sagte: Vielleicht ist er gestorben … falls es ihn gibt, äh, ich meine gab.“
“Und ich bin schuld, ja?“
Das war doch ganz anders gemeint!“
„Ich soll daran schuld sein, ja?
“Krieg dich wieder ein!”
„Nur weil ich gesagt habe, dass mir der Mensch da leid tut und dass mir die Stuten hier ausreichen, ja?“
„Weißt du was? Wenn ich Popper hieße und ein Wallach wäre, würde ich dazu mal schön die Nüstern halten!“
„Was? Mit dir rede ich nicht mehr.“
„Dann nicht.“
„Eben!“
„Besser so.“
„Pffft!“

Ja und dann redeten sie nicht mehr.

Ich reinigte noch die übrigen Boxen und ging dann zurück zum Wohnhaus. Während ich meine Arbeit fortführte, hörte ich weitere Pferde sprechen, indes stellte ich fest, dass die meisten sich kaum so viel zu sagen hatten wie Parmenides und Popper. Vielleicht entsprang das alles doch nur einem kranken Gehirn, in diesem Fall dann leider meinem. Jedenfalls wollte ich mich nicht mit Pferden unterhalten, bevor ich absolut sicher war. Obschon ich mich fragte, ob das wirklich eine Rolle spielte.

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