Horatio XVII/3

Horatio schrieb:

Seltsame Erlebnisse an einer Bahnhofsstation

 

 

Der Nebel begann sich zu lichten als wir endlich an der Bahnhofsstation ankamen. Wir waren hier schon einige Meilen außerhalb unseres Kreises. „Kann ich jetzt gehen?” fragte der Grieche.

„Sicher.” meinte Nic zu ihm „Und vielen Dank auch.”

Eine Weile zuvor war uns die erste Sache aufgefallen, die wir vergessen hatten, nämlich dass wir gar nicht wussten, wo der Bahnhof ist. Gottseidank hatten wir auf der Landstraße einen alten Bekannten getroffen, einen Postbeamten, der im Nebel mit seinem Postlieferwagen in den Graben gerutscht war. Hermes Trismegistos staunte nicht schlecht als er uns auf einmal aus dem Nebel auftauchen sah. Mehr noch als zu staunen zitterte er. Dann warf er sein Mobiltelefon weg und sagte weinerlich: „Nicht hauen! Bitte! Verehrte Päpste! Ihr könnt gerne meinen Wagen haben. Gar kein Problem. Haha! Kann ich gehen?”

Nic kratzte sich am Hinterkopf, überlegte kurz und sagte dann: „Herpes, du weißt nicht zufällig, wo der nächste Eisenbahn-Bahnhof ist?”

„Doch, doch, ich sag‘s euch gerne. Seid ihr eigentlich inkognito? So ohne Papstmützen und zu Pferd? Ist der perverse Strumpfriese auch in der Nähe? Kann ich vielleicht einfach gehen?”

„Du meinst Hector? Ich kann ihn holen, wenn du willst.”

„Nö. Nööö. Nönö.”

„Dann zeig uns mal schön den Weg zum Bahnhof, Herpes.”

„Ach, es ist nur, eigentlich hab ich gar keine Zeit. Haha. Vielleicht könnte ich ja einfach gehen?”

„Du kannst auch gehen, wenn du willst. Allerdings mit uns.”

Schön, so hatte Hermes uns also glücklicherweise den Weg zum Bahnhof zeigen können. Warum er unbedingt zu Fuß gehen wollte, war uns zwar ein Rätsel, aber wir ließen ihn. Wenn die Pferde Galopp liefen, kam er etwas schlecht mit, aber immer sobald Nic erwähnte, dass wir auch Hector holen könnten, legte er stets einen ordentlichen Zahn zu.

Der Bahnhof lag am Rande einer kleinen Stadt. Wir wiesen Parmenides und Popper an, zurück zum Hof zu laufen. In dieser Hinsicht sind unsere Pferde wie Brieftauben. Dann begaben wir uns auf den Bahnsteig. Dort standen frierend einige Leute, die sämtlich im Gesicht eine Blässe aufwiesen und die auch sonst schienen, als hätten sie und ihre Kleidung durch das Wetter jegliche Farbe verloren. Wir stellten uns neben einen Mann , der einen Rucksack auf dem Rücken trug und sichtbar ein Hörgerät im Ohr hatte. Sowohl auf der Jacke des Mannes, sowie auf dem Rucksack war der Fußabdruck eines Wolfes aufgedruckt. Dann redete der Mann auf einmal mit Nic: “Wo bist du?”

Nic starrte ihn entgeistert an und antwortete: “Ja hier, vor dir, Mann.”

Dafür fing sie sich von dem Kerl einen ärgerlichen Blick ein. Er drehte sich von ihr weg und meinte. “Ja, ich hab hier noch ein Netz.”

“Interessant.” sagte Nic “Willst du es verkaufen, oder warum sagst du mir das?”

Der Mann warf Nic und mir einen noch ärgerlicheren Blick zu und sagte “Pass mal auf, Schatz …” dafür schallerte ihm Nic dann eine rein.

Der Herr drehte sich zweimal um die eigene Achse, schüttelte sich und wollte sich wutentbrannt auf Nic stürzen. Der Rest trug sich blitzschnell zu. Hätte man die Möglichkeit gehabt, das folgende in Zeitlupe zu verfolgen, man hätte gesehen, wie Nic währenddessen ihre Hände faltete, meditierte, einen tiefen Basston erklingen ließ, mit dem rechten Fuß scharrte und dann ihren gesamten Körper anspannte um in der Entspannung mit ebendiesem rechten Fuß beide Schienbeine des Beleidigers zu brechen.

Jammernd lag er auf dem Beton des Bahnsteiges. “Ich geb dir “Schatz” du &%$/?§!” fauchte Nic. Den anderen Wartenden schien dies nicht entgangen zu sein. Erst schauten uns alle an, dann schauten alle in andere Richtungen.

Wir stellten uns neben jemand anderes, einen geschätzte 35 Jahre alten, gefühlte 70 Jahre alten, schnauzbärtigen Buchhalter (es bestand kein Zweifel, dass er Buchhalter war, glauben Sie mir) im Trenchcoat und mit Aktenkoffer, der sehr stark zu schwitzen anfing, als Nic ihn ansprach: “Wir fahren in die Stadt.”

“Soso.” presste er heraus und sah sich nach Hilfe um, aber alle anderen Anwesenden schienen sich gerade die Fingernägel zu reinigen, konzentriert in ihren Taschen zu wühlen oder die wahnsinnig interessante Taube zu beobachten, die gerade versuchte, ein halbes Brötchen auf einmal zu fressen. Ausgenommen einer, der stöhnend auf dem Boden lag und sich seine Beine hielt.

“Jaaaahaaaa!” sagte Nic zu ihm “Wir kaufen da ein Fämsegrät!”

In dem Mann kämpften sichtlich der unbändige Wunsch, zu erfahren, was ein Fämsegrät ist und die Angst, dass die Frage eine falsche sein könnte miteinander einen harten Kampf. Er machte ein verkrampftes Gesicht, als ob nach dem vorherigen Genuss einer Habanero-Schote, diese aus seinem Hintern zu ihm spräche. Dabei würde sie gesagt haben: “Ich werde dir sehr, sehr weh tun.”

“Das ist ja schön.” sagte der Mann schließlich.

“Dann ist mir nicht mehr so langweilig im Winter.”

“Ja. Klar.”

“Wir kommen vom Land.”

“Hätt’ ich nicht gedacht.”

“Das ist mein Mann. Horatio.”

“Nett, Sie kennenzulernen.”

“Ganz meinerseits.” sagte ich freundlich.

Nic schüttelte den Kopf. “Leute gibt’s. Da war gerade ein Herr, der war sehr ungezogen.”

“Das habe ich gesehen.”

“Er hat mich einfach angesprochen und als ich ihm höflich geantwortet habe, da ist er ohne Grund frech geworden.”

“Ich glaube, er hat nur telefoniert.”

Nic schaute den Buchhalter an, als ob er einen an der Waffel hätte, aber er sah tatsächlich so aus, als ob er es durchaus ernst zu meinen schiene.

“Er hatte doch gar kein Mobiltelefon.” sagte Nic ihm zugewandt.

Der Mann sagte in Nics Ohren etwas wie “Er hatte ein Hätsät und das Grät war wahrscheinlich irgendwo an seinem Körper.”

Nic standen lauter Fragezeichen ins Gesicht geschrieben, “Ach so. Aber dann hätte er doch sagen können, dass er schwer krank ist.”

Der Buchhalter zog ein Stofftaschentuch mit einem aufgestickten Buchstaben aus seiner Stoffhosentasche und wischte sich die nasse Stirn.

“Dass Sie bei dem Wetter so schwitzen.” wunderte sich Nic “Vielleicht sind sie auch krank.”

“Ja, Sie haben recht, das könnte sein. Ich bleibe vielleicht heute lieber zu hause. Ich wünsch dann noch eine gute Fahrt.” Er schickte sich zum Gehen an.

“Danke, Mann. Werden Sie gesund!” rief Nic dem Scheidenden hinterher.

“Ich bin mir nicht sicher.” murmelte der Buchhalter und während seine Schritte schneller wurden, begab er sich zum Ausgang des Bahnsteiges.

Eine Stimme aus dem Lautsprecher kündigte den einfahrenden Zug an.

Fortsetzung folgt