Rockabilly in der DDR – zwischen Elvis und der Partei – Teil1

Als der Rock’n’Roll Mitte der 50er nach Deutschland kam, fuhr er nicht nur westdeutschen Jugendlichen in die Beine. Auch im Osten, der  noch nicht von der Mauer abgetrennt war, sorgten Bill Haley, Elvis Presley und Jerry Lee Lewis dafür, dass auf einmal ein Gefühl in der Luft lag, das einen Ausweg aus dem Mief von FDJ, Stasi-Politik und den Parolen von einer sozialistischen Jugend in Aussicht stellte. Die SED schnupperte diese Luft alles andere als gern. Während auch Rock’n’Roll- und Rockabilly-Fans im Westen in Elternhaus, Schule und Arbeitsplatz heftigen Gegenwind erfuhren, hatten die im Osten einen ungleich gefährlicheren Gegner.

Rock’n’Roll im Osten

Mitte des ersten Nachkriegsjahrzehnts konnten ostdeutsche Jugendliche noch über die Grenze. Das hatte eine Menge Vorteile. Zum Beispiel konnte man sich dabei eine Elvisplatte kaufen oder sich in westdeutschen Kinos amerikanische Western ansehen. Auch westliche Radiosender waren teilweise in der DDR zu empfangen, darunter der Sender der amerikanischen Besatzungstruppen AFN (American Forces Network). Dieser brachte eine ganz andere Musik als die schlager- und volksmusikseligen deutschen Rundfunkstationen – präsentiert von gut gelaunten und nach deutschen Maßstäben unverschämt lässigen Diskjockeys. Dass sich auch im Osten Deutschlands Jugendliche zum Rock’n’Roll-Hören und -Tanzen trafen, war deshalb nur eine Frage der Zeit.

So gab es bald in der DDR beliebte Treffpunkte für die Fans des umstrittenen amerikanischen Imports – oft unter dem Deckmantel von FDJ-Veranstaltungen. Männliche Jugendliche trafen sich dort in Jeans und kariertem Hemd und in Einzelfällen mit Entenschwanzfrisur. Einige weibliche Rock’n’Roll-Fans ließen sich sogar den Namen von Elvis Presley auf ihre Jeans aufbringen – eine Tatsache, die den Tugendwächtern im Osten Deutschlands besonders sauer aufstieß. Schließlich galt es gerade die weibliche Jugend vor dem schlechten Einfluss amerikanischer Rhythmen und Hüftschwünge zu schützen. Die Musik kam entweder vom Band oder es traten junge einheimische Bands auf, die versuchten, Rockabilly und Rock´n´Roll mit den eigenen Mitteln zu kopieren.

Mit Quoten gegen den amerikanischen Einfluss

Nachdem sich die SED-Führung zwischenzeitlich unsicher war, ob sich die Halbstarkenbewegung nicht sogar als antikapitalistisches Phänomen ausnutzen ließ, standen die Zeichen spätestens nach Bill Haleys Gastspiel im Westberliner Sportpalast 1958 auf Sturm. Noch im selben Jahr wurde in der DDR ein Gesetz erlassen, das die sogenannte 60:40-Klausel festschrieb. Das hieß, dass bei jeder Liveveranstaltung und  jedem Radioprogramm höchstens 40 Prozent der gespielten Songs aus dem Westen stammen durften. Auch für die Bestückung der beliebten Jukeboxes galt dieses Gesetz. Einige Titel wurden einfach komplett verboten.

In der Realität sah die Sache allerdings anders aus, als sich dies die Parteispitze vorgestellt hatte. Denn ostdeutsche Jugendliche wollten in der Mehrheit keine Tanzmusik einheimischer Machart, sondern Rock´n´Roll und verwandte Klänge und gaben nicht besonders viel auf die Parolen von Walter Ulbricht und Co. Hätte sich eine Band an die 60:40-Klausel gehalten, wäre ihr das Publikum einfach in Scharen davongelaufen. So hieß es also “weitermachen wie bisher” – außer es saß bekanntermaßen ein “Aufpasser” im Publikum. Dann wurde zähneknirschend Musik aus dem Osten gespielt – bis der Spitzel zufrieden nach Hause ging und Little Richard wieder übernehmen durfte.

Der Lipsi – “Heute tanzen alle jungen Leute”

Als eines der skurrilsten Phänomene im Kampf der DDR-Führung gegen Rock’n’Roll, Elvis und Rockabilly gilt heute der Lipsi. Damit wollte die Parteispitze ihrer “sozialistischen Jugend” eine hausgemachte und moralisch anständige Alternative zum unsittlichen Rock’n’Roll-Tanz anbieten. Vorgestellt wurde die Erfindung eines Leipziger Komponisten und Tanzlehrer-Ehepaars auf der Tanzmusikkonferenz 1959. Im Folgenden unternahmen öffentliche Stellen alles, um den ostdeutschen Modetanz, der etwas flotter getanzt wurde aber natürlich jede Form von Getrennttanzen vermied, bei jungen Menschen in der DDR zu propagieren – vergeblich.

Im Gegenteil, der Propagandatanz der in Liedern mit Titeln wie “Heute tanzen alle jungen Leute” vermarktet wurde, war seiner Zielgruppe höchstens ein Schmunzeln wert. Schon nach wenigen Jahren war er wie vom Erdboden verschwunden. Heute ist der Lipsi vor allem Anlass für lustige Anekdoten. Geht man nach den Erinnerungen von Zeitgenossen, hätte ihn kein Rock´n´Roll-Fan in der DDR freiwillig getanzt.

Wir wollen Elvis Presley

Einige Jugendliche in Ostdeutschland gaben sich nicht damit zufrieden, die 60:40-Klausel zu unterlaufen. Sie demonstrierten lautstark gegen die Taktik der DDR-Führung und für die Musik ihrer Wahl. So marschierten 1959 Gruppen von Leipziger Jugendlichen durch die Straßen ihrer Nachbarschaft und riefen dabei: “Wir wollen keinen Lipsi und keinen Alo Koll [bekannter und von der SED unterstützter Orchesterleiter], wir wollen Elvis Presley mit seinem Rock’n’Roll!”

Das ließ sich die mittlerweile mehr als aufgebrachte SED-Spitze nicht gefallen. Manche der jugendlichen Demonstranten mussten für die “Rock’n’Roll-Demonstration” sogar mit Gefängnisstrafen büßen. Bis zu viereinhalb Jahren brummten Leipziger Richter Teilnehmern der Umzüge von 1959 auf. Das war ein klares Zeichen dafür, dass die Leidenschaft für Rock’n’Roll in der DDR nicht nur schwierig auszuleben, sondern auch gefährlich war, ein Argument, dass viele nicht davon abhielt, sie weiter auszuleben.

Jugendliche mit Kofferradio und James-Dean-Tasche

Jugendliche mit Kofferradio und James-Dean-Tasche in den 1950er Jahren. Quelle: DHM