Horatio IX

Horato schrieb:

Bei uns hier auf dem Land wird noch r i c h t i g gekocht. Da gibt es keine Fertiggerichte, hier kocht jeder quasi sein eigenes Süppchen. “Natriumglutamat” – das verstehen wir nicht, das ist für unsereins chinesisch, wir verwenden noch Liebstöckl und Schabziger Klee und zwar wenn möglich aus dem eigenen Garten.

Um so interessanter war es, als hier einmal ein sogenanntes Fast-Food-Restaurant versucht hat Fuß zu fassen.

Bauer Dröge hatte es als erster spitzbekommen und wenn Bauer Dröge es weiß, weiß es jeder (außer H.B.) und deshalb war es im Bauernverband erst mal für eine Weile Thema Nummer eins. Grundsätzlich standen wir alle der Sache auch aufgeschlossen gegenüber. Hamburg ist eine schöne Stadt, insofern eine Stadt überhaupt als “schön” bezeichnet werden kann und weil Kannibalismus unter bestimmten Umständen zu rechtfertigen ist, konnte es nicht als falsch erachtet werden, auch mal einen Hamburger zu verzehren.

Nahe der Autobahn hatte wohl ein Gasthaus eröffnet, das solche Hamburger auf der Speisekarte hatte. Aufgeschlossen, wie die Landbevölkerung gegenüber solchen Dingen ist, beschlossen wir, der neuen Wirtschaft einen Besuch abzustatten. Wir trafen uns also am Marktplatz von Groetentrop und fuhren mit unseren Treckern im Konvoi die zehn Meilen bis zum neuen Gasthaus an der Autobahnausfahrt, wo wir uns … ach ich weiß auch nicht, wir wollten einfach mal gucken. Natürlich waren die Wirte von Gasthaus “Zum Einen” aus Luettentrop und vom Gasthaus “Zum Anderen” aus Groetentrop mit von der Partie, allein um zu schauen ob sich da etwa Konkurrenz anbahnte.

Als wir an der neuen Gaststätte ankamen fanden wir zunächst erstaunlich, dass die Fensterscheiben ungewöhnlich viel Licht ins innere ließen. Von unseren Dorfkneipen sind wir eher schummriges Licht gewohnt. Na, jedenfalls nahmen wir an den Tischen platz und warteten auf Bedienung.

Und warteten. Und warteten.

Gerade als wir uns schon beschweren wollten, kam ein Inder zu unseren Tischen. “Wolle nix esse? Durfe nix hier sitze, wenn nix esse.”

Doch, doch, gaben wir ihm zu verstehen. Wir hätten gern erst mal fünfzehn Blonde und fünfzehn Kurze und dann vierzehn mal Schweinshaxe mit Rotkohl und Kartoffelklößen, wenn’s beliebt. Plus eine Porreesuppe für Hector, weil er Vegetarier ist. Und er solle die Gläser einfach bis zum Essen nicht leer werden lassen, dann bräuchte er nicht jedes Mal einzeln die Bestellungen aufzunehmen.

Der Inder wand sich sichtlich und meinte schließlich “Ich hole Mänädscha.” Sein offensichtlicher Vorgesetzter erschien dann auch. Er versuchte uns klar zu machen, dass es in diesem “Restaurant” üblich sei, an der Theke zu bestellen. Ferner sei die Speisekarte auf amerikanische Speisen beschränkt und Bier gäbe es nur alkoholfrei und Schnaps mal gar nicht.

Inzwischen bemühten sich vier von uns Hector festzuhalten, der wegen der offensichtlichen Unverschämtheiten des Gastwirts bereits sichtlich ungehalten gewesen wäre, wenn sie ihn denn nicht gehalten hätten.

Nachdem der Gastwirt uns die Gepflogenheiten des amerikanisch-indisch-hanseatischen Gasthauses erklärt hatte, stellten wir uns schließlich in einer Reihe vor der Theke an.

Bauer Dröge war der erste in der Reihe. “Ich möchte dann gerne den Käsebörger.”

“Wolle Menuu?” fragte der Inder.

“Nä, Käsebörger.” meinte Dröge.

“Als Menuu?” fragte der Inder.

An dieser Stelle möchte ich zwischendurch gerne bemerken, dass Bauer Dröge normalerweise ein Synonym für Geduld ist.

“Nä, Käsebörger. Verstehen Sie kein deutsch?”

“Verstehe deutsch! Als Menuu?”

Bauer Dröges Halsschlagader schwoll bedrohlich an. ” Pass mal auf, du komischer Vogel! Ich glaub’, du meins’ wa’scheinlich “Menü”. Wenn ich’n Menü wollte, hätt’ ich’s wohl gesacht. Ich will’n Käsebörger! Krieg ich den jetzt, oder muss ich’n schriftlich’n Antrach stell’n?”

Der Inder schaute Bauer Dröge etwa zehn Sekunden ins Gesicht und sagte, “Sähr gärne, eine Menuu Kaseburger! Kommt sofoot!”

Bauer Dröge begann mit den Armen zu rudern, aber hinter ihm waren noch vierzehn Personen, die Appetit hatten und die nächste Person war Hector, der ihn nun einfach zur Seite drängte. “’n Hamburger, aber’n vegetarischen!”

Der Inder schaute sichtlich überfordert. “Meine Vega Burger?”

“Nö, ‘n Hambörger, aber vegetarisch!”

“Nich gibt.”

“Wie nich’ gibt`”?

“Gibt nich Hamburger vegetarisch.”

Hector wurde sehr, sehr leise, was weitaus gefährlicher ist, als wenn er laut wird. Fast flüsterte er : “Sie meinen, Änderungen sind nicht möglich?”

Inzwischen drängte Nic sich vor, damit Hector an die Seite und bestellte lautstark “Einen Zehner Hühnernaggets!”

“Sie meine Chicken Nuggets?”

“Gibt’s hier noch andere?”

“Nee.”

“Dann wissen Sie doch was ich meine, oder?”

Fragezeichen über dem Kopf des Mannes hinter der Bedienungstheke.

Nic etwas ungeduldiger: “Dann wissen Sie doch was ich meine, oder?”

“Ja.”

“Also. Wollen Sie mich belehren?”

“Nä, was wolle noch mal?”

“Einen Zehner Hühnernaggets!”

“Gebe nur Neuner. Als Menuu?”

(Achtung: es stimmt NICHT, dass sich die Geschichte nicht wiederholt. Wer hier ein Deja Vu findet, darf es behalten)

“Hab’ ich Menü gesagt?”

Verzweifeln im Gesicht der geschulten Bedienung: “Mänädschaaa! Storno!”

“Was ist jetzt?” fragte Nic.

“Habe schon eingebongt, musse ausbongen.”

Fünf Minuten später, neuer Versuch, inzwischen hatte der Manager die Kasse wieder startklar gemacht.

Die Bedienung: “So. Wolle Neuner Chicken Nuggets!”

“’Zehner’ hatte ich gesagt. Ich will zehn.”

“Gebe nur Neuner. Habe auch gesagt.”

Nic begann mit dem rechten Fuß zu scharren. Wie wir bereits wissen: linker Fuß bedeutet Verlegenheit, rechter Fuß bedeutet Bad Moon Rising. Der Inder wusste nicht wohin er gucken sollte. Kein mir bekanntes Lebewesen kann Nics Blick standhalten. “Wolle Neuner Nuggets und ein mehr, haha. Wir mache nur für nette Frau! Keine Problem! Wolle Soße?”

Damit wäre für Nic normalerweise alles in Ordnung gewesen. Leider hatte sie ” Wolle Rose?” verstanden.

Nic beugte sich also über den Tresen und flüsterte dem Inder folgendes ins Ohr:

“Pass mal auf mein ayurvedischer Freund! Und du BIST mein Freund, während man nicht automatisch daraus schlussfolgern kann, dass ich dein Freund bin. Zumindest rate ich dir, mein Freund zu sein, denn wer nicht mein Freund ist, überlebt normalerweise nicht die Zeitspanne in der ich mich entscheide, ob ich mit ihm rede oder nicht. Wenn du und dein schäbiges Restorang mit lausiger Bedienung und ganz, gaaaanz üblem Sörwis auch nur einen Moment weiter existieren wollt, rate ich dir ganz dringend mich richtig zu verstehen und zwar auf der Stelle. Wahlweise sitzen da hier noch vierzehn Jungs hinter mir, die stets ein religiöses und historisches Forschungsinteresse daran haben zu beobachten, wie lange man braucht um nach einer Kreuzigung zu sterben. Und der lange Typ, der mein Bruder ist, ist der Harmloseste. Hast Du noch sanskrittische Fragen, mein FREUND?”

Was soll ich sagen? Sicher, wir bekamen an diesem Tag alles, und ich meine ALLES, was wir bestellten. Wie auch immer sie das gemacht haben, vierzehn mal Schweinshaxe mit Rotkohl und Kartoffelklößen, plus eine Porreesuppe zu besorgen. Vielleicht hatte der Wirt vom “Zum Einen” aus Luettentrop damit zu tun. Das Fast-Food-Restaurant schloss jedoch in den darauf folgenden Tagen und bisher wurde auch kein neues eröffnet. So was setzt sich hier auf dem Land einfach nicht durch.

Anmerkung von Hutlamm:

Horatio hat dem Brief einen Zeitungsausschnitt aus der “Groetentroper Landwacht” beigelegt.

“Ein nahe der Autobahn neu eröffnetes Restaurant einer bekannten Fast-Food-Kette ist in der vergangenen Nacht vollständig niedergebrannt. Die freiwillige Feuerwehr Groetentrop erreichte den Brandort erst als das Gebäude schon bis auf den Grund abgebrannt war. Laut einer Mitteilung der Kreispolizei sei die Brandursache eine nicht ausgeschaltete Friteuse gewesen. Bei der Flasche, die nicht weit von der Brandruine gefunden wurde und die einen Rest sogenannten “Hollergeist” enthielt, handele es sich nicht um ein mit den Geschehnissen im Zusammenhang stehendes Objekt. Bauer Hector Pannenbecker, Mitglied der freiwilligen Feuerwehr Groetentrop, dessen Hof sich in unmittelbarer Nähe der Ruine befindet dazu: “Dat is Schade. Sehr Schade. Aber dat gute is, dat die mir erst ein Heidengeld für dat Feld gezahlt haben und ich dat Grundstück nun für ein Appel und ein Ei zurückkaufen konnte. Gottseidank haben wir Appelbäume. Und unsere Eier ess ich nich, weil ich bin Vegetarier.” Er fügte hinzu “Harr, harr!”

1 Comment

  • chrissi sagt:

    O Mann, ich freue mich, wieder von Horatio zu lesen. Nachdem ich mindestens zehn Tage nichts neues gesehen habe, hatte ich schon angst, es geht nicht weiter. Und jetzt guck ich mal zwei tage lang nicht rein, zack da ist ein neuer Brief, klasse. Jedenfalls freue ich mich riesig und habe schon wieder Tränen gelacht.
    Zu Horatios Brief: Das ist echt wie aus dem Leben gegriffen. Ich steh echt nicht auf Fast-Food-Ketten, aber ab und zu geht doch jeder mal dahin, und dann erlebt man echt solche Stories. Mir ist es allerdings noch nicht gelungen, dort das zu kriegen was ich will und wie ich es will, ich sollte mir vielleich mal Hektor ausleihen, oder noch besser Nic, dann klappt das vielleicht.
    Noch eine Bitte: Lass uns nicht wieder ganz so lang warten bis du neue Briefe von Horatio reinstellst. Das ist gemein 😉
    Chrissi

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