Horatio VII

Horatio schrieb:

Nics unermessliche Weisheit

Dieses Jahr hat es einfach zu viel geregnet. Manchmal sitzen Nic und ich in der Küche, schauen aus dem Fenster in die graue, kalte, nasse Welt da draußen und nippen schwermütig am „Trum“ rum. So nennen wir heißen Tee mit Rum. Leider ist uns seit einer Weile der Tee ausgegangen und bei dem Wetter haben wir auch keine Lust rauszufahren und welchen zu kaufen.

Nic sagt dann so Sachen wie : „Das muss die gottverdammte Sinnflut sein.“

Ich sage dann „Jau.“ Und wir gucken wieder aus dem Fenster.

Und etwa nach 10 Minuten sage ich „Heißt das nicht ‚Sintflut’?“

„Kann ja nicht, das würde ja keinen Sinn machen.“

„Wieso nicht?“

„Na, die Sinnflut hat den Sinn, alle Gott ungefälligen Kreaturen, zum Beispiel H.B. wegzuspülen und vom Erdboden zu tilgen. Das ist der Sinn, deshalb heißt sie Sinnflut. ‚Sint’ hingegen macht keinen Sinn, es bedeutet nichts.“

„H.B. ist doch gar nicht mehr da.“

„Was weiß denn ich. Vielleicht hat Gott das nicht mitbekommen. Der hat auch viel Arbeit. Den ganzen Tag Anrufe von Leuten entgegen nehmen und so. ‚Verzeih mir bitte’, ‚Lass uns diesen Krieg gewinnen’, ‚Lass ein Wunder geschehen und sende mir Klopapier auf dieser öffentlichen Toilette’.“

Nic ist eine Frau, davon bin ich überzeugt, die von einer tieferen Weisheit erfüllt ist. Eine reine und kristallklare Weisheit, die überirdisch leuchtet und sich dem begrenzten Verstand von uns gemeinen Menschlein niemals erschließen wird. Darum wusste ich, dass sie Recht hat und beließ es dabei.

In Luettentrop gibt es eine Dorfkneipe, das Gasthaus „Zum Einen“ (die Wirtschaft in Groetentrop heißt „Zum Anderen“) und wenn einer Nic da frech auf den Arsch guckt und sie dann zu ihm hingeht, mit dem rechten Fuß scharrend vor ihm steht, ihm gerade in die Augen sieht, den Kautabakpfriem ausspuckt und lächelnd sagt:

„Du meinst, du hast Eier und die Ergebnisse deiner Wahrnehmung deuten vermutlich auch darauf hin. Aber wenn ich meine Faust jetzt in deinen Hals stecke und dein Gehänge durch deinen Darm, deinen Magen und deine Fresse rausziehe und es dir vor den schielenden Matsch halte, der dein Gesicht sein soll, dann weißt du, dass du dich geirrt hast!“

Ja, dann weiß der, dass sie recht hat.

Und wenn einer meint, er sei mindestens genau so weise wie Nic und versucht einen Kommentar abzugeben, wie „Mein Gesicht sieht gar nicht aus wie Matsch!“, dann seufzt Nic und sagt: „Jetzt doch.“, und dann weiß er auch, dass er sich geirrt hat und tut Nics Weisheit noch in der Notaufnahme des Kreiskrankenhauses kund. Weil seine Stimme auf einer sehr hohen Frequenz liegt, ist er dort aber wahrscheinlich kaum zu verstehen.

So gleiten also in der Langeweile der verregneten Oktobertage die Gedanken ab. Da erscheint einem die fürchterliche, wenn auch kurze Hitzeperiode dieses Jahres schon wieder wie ein goldenes Zeitalter. Der Erinnerung süßer Mund küsst uns auf die Stirn…

Glühende Hitze, die Sonne brennt wie Hollergeist. Dabei ist wegen der Waldbrandgefahr bei dieser Trockenheit gar kein offenes Feuer erlaubt. Zum Schutz vor der sengenden Sonne haben Nic und ich Pabstmützen aufgesetzt, so dösen wir auf der Veranda. Es ist so heiß, dass wir in unseren Schaukelstühlen keine Lust haben zu schaukeln, dass die Grillen keine Lust haben zu grillen und die Vögel haben keine Lust zu singen. Ab und zu nehmen wir uns etwas Kautabak und schütten uns eisgekühlte „Klimonade“ nach. Nic hat sie in Ihrer unermesslichen Weisheit so genannt, weil es bei diesem Klima Sinn macht, diese Limonade zu trinken. Das Getränk besteht aus gepressten Zitronen und Gin. Leider sind uns die Zitronen ausgegangen und bei dem Wetter haben wir auch keine Lust rauszufahren und welche zu kaufen.

Über den sandigen Hof wirbelt ein kleiner Staubteufel, dreht ein paar Schleifen und verschwindet hinter der Scheune. Dann schlagen die Wachgänse an – nicht plötzlich sondern eher unmotiviert und zeitversetzt. Ein streunender Pitbull taucht auf, trottet über das Grundstück als wenn es ihm gehören würde. Eine Weile schauen wir uns das alle an. Wotan, Brutus, Napoleon und Mohammed schütteln ihr Gefieder, dann raffen sich sie sich schließlich müde und etwas widerwillig auf um ihn kaltzumachen. Ein Blick von Nic gebietet ihnen, sich ruhig zu verhalten woraufhin sie ein wenig in die Richtung des Köters fauchen, es sich dann aber wieder bequem machen.

Nic kaut etwas angestrengter auf ihrem Pfriem während der Hund sich auf uns zu bewegt. Sabber läuft ihm aus der Schnauze, er beginnt die Zähne zu zeigen und uns anzuknurren. Nic zieht den Strohhalm aus ihrem Klimonadenglas und setzt ihn an den Mund. Jetzt knurrt der Pitbull lauter und kommt auf uns zu.

Er wird schneller.

Er rennt.

Er bellt.

Er reisst seinen Rachen weit auf und setzt zum Sprung an.

PLÖNG!

Der entseelte Körper des Streuners landet wie ein nasser Klumpen Sackleinen zu unseren Füßen. Zwischen seinen Augen klafft ein kleines Loch aus dem ein dünner Blutfaden rinnt. „Schade um den Kautabak.“, sage ich.

„Zu viele Fremde hier in letzter Zeit.“, grummelt Nic.

Dann verblasst die Erinnerung, ich muss schmunzeln und wir schauen durch das Küchenfenster dem Regen zu.

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