Horatio X/2

Horatio schrieb:

Die Reise zum Regenbogen

Nic und ich waren dem Regenbogen schon ein gutes Stück näher gekommen und überquerten nun eine Viehweide. Da es dieses Jahr über Monate geregnet hatte waren die Felder alle sehr morastig. Nicht sehr schön für uns. Der frisierte Rasenmäher pflügte sich unter meinem Gewicht etwa zwei Fuß tief durch den Boden was ihn nicht gerade schneller machte und hätte ich den Tank nicht mit Schwarzem Hollergeist gefüllt, dann hätte der Motor sicher schon längst den Geist aufgegeben. Nic mit Ihrem Pogo-Stock hatte das Problem, dass jeder Hüpfer ein tieferes Loch im Morast zurückließ. Wenn sich die untere Spitze des Pogo-Stocks aus dem Vakuum des Schlamms löste wurde das jedes Mal von einem schmatzenden Geräusch sowie einem pfurzenden Basston begleitet.

Dementsprechend sahen wir aus. Wenn man berechnet wie viel Prozent Dung der Schlamm einer über die ganze Saison genutzten Viehweide enthält, ist “dementsprechend” nicht der treffende Ausdruck. Wir sahen buchstäblich beschissen aus.

Wir erreichten dann eine befestigte Straße und kamen gerade etwas besser voran als links hinter uns ein Pferdefuhrwerk aus den Hecken schoss. Vier Rosse zogen es und vorne auf dem Kutschbock saß …

H.B.

Den hatten wir nun am wenigsten erwartet. Außerdem wies sein Gefährt eine beträchtliche Geschwindigkeit auf, es war schnell klar, dass er uns bald überholen würde. Als er beinahe auf gleiche Höhe mit uns zog sahen wir zwei Dinge. Seinen wütenden Man-sieht-sich-immer-zwei-mal-Gesichtsausdruck und dass sein Fuhrwerk keine Räder hatte, sondern etwa drei Fuß über dem Boden schwebte, was erklärte wie er so ein Tempo erreichen konnte.

Leider schaute Nic etwas zu lange verblüfft über ihre linke Schulter. So kam es, dass ihr der Pogo-Stock mit Hilfsmotor außer Kontrolle geriet und sie die Gewalt darüber verlor. Das hörte sich etwa so an:

Booing!

Booing!

Boing! Boing!

Boing! Boing! “Mist!” Boingboingboing!

Boingboingboingboingboingboingboingboingboing!

Ping! Schnarr! Spotz! Booooooooooooooing! Sirr!

RUMMMS! “Aua!”

Natürlich hielt ich sofort den Rasenmäher an. Sollte H.B. sich das Gold holen. Was nützt einem das ganze Geld, wenn man keine Frau hat, die es verwalten oder für Schuhe ausgeben kann?

Ich fand Nic in einem Haselstrauch in etwa fünf Fuß Höhe hängend. Sie sah ein wenig benommen aus. Dann duckte ich mich und warf mich auf Nic, denn in einem Umkreis von circa 100 Ellen schlugen jetzt die Einzelteile des Hilfsmotors ein. Nachdem die Luftschutzsirene in meinem Kopf Entwarnung signalisiert hatte, wandte ich mich Nic zu.

“Geliebte! Bist du verletzt? Hast du Schmerzen?”

“Ich fühle meine Beine nicht mehr.”

“Oh weh! Wir werden in die Stadt fahren, dort gibt es Ärzte in einem Krankenhaus, die werden dir helfen!”

Dann führte ich den Satz im Geiste weiter: “…sie werden dir helfen indem sie

1. unnötige Operationen an dir durchführen

2. deren Folgen wie Tod oder Verkrüppelung durch Kunstfehler nicht abzusehen waren

3. die unter Narkose durchgeführt werden

4. deren Folgen wie Tod oder Verblödung durch Falschdosierung nicht abzusehen waren

5. dir Impfungen verpassen, die du nicht brauchst,

6. die sowieso keinen hundertprozentigen Schutz bieten,

7. deren Folgen wie Tod oder Verblödung durch Impfschäden nicht abzusehen waren

8. indem du im Krankenhaus mit Krankheitserregern infiziert wirst, die es sonst nirgendwo gibt und die gegen alles resistent sind

9. deren Folgen wie Tod, Lungenentzündung oder nicht mehr heilende Wunden nicht abzusehen waren

10. wirst du dagegen Antibiotika erhalten, wogegen die Krankheitserreger auch resistent sind und die

11. in deinem menschlichen Organismus Kollateralschäden verursachen

12. deren mittelfristige Folgen  wie Tod oder weitere Krankheiten nicht abzusehen waren

und 13. wirst du vorher unterschrieben haben, dass du zuvor über diese Risiken informiert worden bist, die Ärzte nicht schuld sind und dass du die ganze Verantwortung übernimmst sowie die Kosten, falls die Krankenversicherung nicht zahlt.”

“Ich ziehe meine Aussage zurück. Stattdessen formuliere ich: Oh weh! Wir werden in den Schwarzdornhain gehen, dort gibt es Hexen in schiefen Hütten und DIE werden dir helfen!”

“Meine Beine!” stöhnte Nic nur.

“Du musst nicht zwangsläufig gelähmt sein.” tröstete ich sie und klopfte drei mal auf einen Ast des Haselstrauchs.

“Es würde mir schon helfen, wenn du nicht mehr auf meinen Beinen sitzen würdest, Horatio.”

“Oh.”

Es war mir gar nicht aufgefallen, dass ich dort vor den herunterfallenden Motorteilen Schutz gesucht hatte.

“Aaah, danke! Das Blut fließt wieder in meine eingeschlafenen Haxen. JETZT habe ich Schmerzen!”

“Geliebte! Ich bin bei dir!” (dramatische und schicksalhafte Orchestermusik erklingt)

“Geliebter! Das fürchte ich auch!”

“Fürchte dich nicht! Ich werde dich jetzt nicht verlassen!”

“Doch! Du musst weiter! Kümmere dich nicht um mich!”

“Niemals, Geliebte!”

“Geh! Geh zum Regenbogen! Tu es für mich!”

“Wir werden zu zweit gehen oder gar nicht!”

“ICH HABE NICHT ‘BITTE’ GESAGT, HORATIO!” (abrupt bricht die Orchestermusik ab. Nur ein Bläser merkt es nicht sofort, produziert noch ein paar Misstöne und fängt sich vom Dirigenten dafür einen Blick ein)

“Ahem. Du musst nicht gleich so schreien, Nic.”

“Du raffst es ja sonst nicht, du Eimer!”

Etwas beleidigt blickte ich in Richtung des Regenbogens, der immer noch am Firmament prangte. Erstaunlicherweise sah ich nun, dass ein Stück die Strasse hinunter H.B.’s Pferdefuhrwerk zum Stehen gekommen war. Das kam mir doch recht komisch vor.

Nic hatte sich tatsächlich bis auf ein paar Schürfwunden und Blessuren nicht verletzt. Nachdem sie wieder auf die Beine gekommen war, liefen wir zu dem Karren und stellten fest, dass H.B. mit einem seligen Lächeln vorn übergebeugt auf dem Kutschbock saß. Ich rüttelte ihn, was nichts bewirkte und stellte dann fest, dass er atmete.

“Er’s nich’ doud!”

“Soll das eine gute Nachricht sein?” fragte Nic.

“Sind wir noch innerhalb unseres Kreises?”

“Denke schon, ja. was hat das damit zu tun?”

“Wenn wir schon außerhalb des Hoheitsgebietes unserer Kreispolizei sind, ist das eine gute Nachricht, ja. Es ist nämlich unser Pogo-Stock, der ihn am Kopf getroffen hat. In manchen Gegenden nennt man so was im Falle des Exitus ”grob fahrlässig verursachter Unfall mit Todesfolge” und man sitzt ungefähr drei Jahre dafür. Hinzu kommen eine Menge Kosten, was noch schlimmer ist. Aber wenn wir, wie du sagst, noch innerhalb unseres Kreises sind ist es kein Problem, weil…”

“Papperlapapp! Aufsitzen!”

Wir mussten H.B. leider am Unfallort zurücklassen, weil unnötiger Ballast vielleicht verhindert hätte, dass wir den Regenbogen rechtzeitig erreichen. Nic zog aber seinen Wachsmantel, seine Wachshose, seinen Nordwester und seine Gummistiefel an – alles in schickem leuchtenden Gelb. Man darf nicht vergessen, dass es die ganze Zeit regnete, deswegen war überhaupt der Regenbogen noch da.

Während die Sonne im Westen bedrohlich immer tiefer sank, beeilten wir uns das linke Ende des imposanten Farbenspiels zu erreichen. Inzwischen hatte ich herausgefunden, warum H.B.’s Fuhrwerk keine Räder hatte. Unter dem Karren hatte er eine Anti-Gravitations-Modul angebracht. Alle Wetter! Das stand bestimmt irgendwie im Zusammenhang mit den Aliens, die ihn besucht und dann ja auch zu sich nach hause eingeladen hatten. Nette Außerirdische eigentlich, wenn man davon absieht, dass sie die Erde erobern und die Menschheit versklaven wollten.

Dann.

Dann erreichten wir das Ende des Regenbogens.

Fortsetzung folgt

3 Comments

  • Robin sagt:

    Hihi, das wird fast mit jedem Mal besser. Vor allem, wo in dieser Soap nun auch ein Charakter vorkommt, der Aliens beherbergt. Solche vom Schicksal geplagte Personen brauchen mehr Öffentlichkeit 🙂

  • der Moik sagt:

    Klasse!

  • chrissi sagt:

    Tag gerettet.
    Hatte bis gerade eine Stinklaune. Mann liegt seit drei Tagen mit Erkältung im Bett ( Wer einen Ehemann hat, weiß, dass eine Erkältung bei Männern schlimmer ist als Krebs, Frauen mit erkältung hingegen werden von ihren Lieben gefragt, wann es endlich essen gibt ) und nervt, dann gerade Elterngespräch in der grundschulke, weil meine Tochter das böse F-Wort gesagt hat, ausgerechnet zur Lehrerin, also alles scheiße.
    Und dann schmeiß ich den Computer an und muss auf einmal echt von Herzen lachen. Das tut so gut. Habe meinem Mann den letzten Brief vorgelesen, und selbst er in seinem STERBENSKRANKEN Zustand musste sich den Bauch halten vor lachen (was natürlich einen heftigen Hustenanfall zur folge hatte, OOOOOOOHHHHH).
    Danke, Horatio. Bitte mehr davon.

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