Horatio X/3

Horatio schrieb:

Am Ende des Regenbogens

Dies war das Ende des Regenbogens.

Die Stelle lag ein paar Klafter weit in ein Waldstück hinein auf einer Lichtung. Wir mussten absteigen und die restlichen paar Schritte zu Fuß gehen. Dort, inmitten der Lichtung traf der Regenbogen auf einen mächtigen Findling. Sofort kam mir in den Sinn, dass wir das nächste mal unbedingt daran denken sollten, Spaten und Schaufeln mitzunehmen. Hoffentlich war die Goldtruhe nicht sehr weit und tief unter diesem riesigen Felsen vergraben.

Dann hörten wir zu einem klopfenden Rhythmus jemanden einen fröhlichen Limerick singen:

“Ein Schuster aus Polderhusen

Konnt’ seine Frau nicht verknusen

Denn sie war ein Tier

Doch blieb er bei ihr

Denn sie hatte ‘nen riesigen …”

Hinter dem großen ovalen Stein musste jemand sein. Wir gingen also um ihn herum um nachzuschauen.

“Hei, Ho! Sei gegrüßt. fremder Sänger, der mit zweifelhaftem Talent der Dichtkunst fröhnt!” wollte ich sagen, aber mir blieb der Satz im Halse stecken, denn vor uns saß ein Ampferwichtel in altertümlicher Kleidung, der einen Dreispitz aufhatte und mit einem kleinen Hämmerchen einen Schuh bearbeitete.

Der Ampferwichtel schaute von seiner Arbeit zu uns auf und sagte: “Hi!”

Wir grüßten ihn ebenfalls. Dann kam Nic direkt zur Sache: “Wir suchen eine Truhe Gold. Du hast nicht zufällig eine gesehen?”

Das Männlein blickte verstohlen nach rechts und links und antwortete: “Nay! Aber braucht ihr vielleicht einen Schuh?”

“Verlockend für eine Frau!” grinste Nic säuerlich, “Aber durch einen glücklichen Zufall habe ich noch BEIDE Beine,“ wobei sie einen Blick in meine Richtung warf, der mir etwas Schuldbewusstsein einflößen sollte „so dass mir mit EINEM Schuh nicht geholfen wäre. Außerdem habe ich diese hübschen gelben Gummistiefel. Hinzu kommt, dass man von Wesen aus der Geisterwelt nichts annehmen soll.”

“Deine Stiefel scheinen aber ein bisschen Übergröße zu haben.” bemerkte der Ampferwichtel.

Nick begann mit einem Gummistiefel im Gras zu scharren, was gemeinhin nichts Gutes für ihr Gegenüber bedeutet. Ich brauchte nicht hinzuschauen, um zu wissen, dass sie mit dem rechten Stiefel scharrte, was großes herannahendes Unglück bedeutet. Mit dem linken Fuß scharrt sie nämlich, wenn sie verlegen ist, die Sache ist nur, dass Nic eigentlich nie verlegen ist.

“Nicht das dich das was angeht,” meinte Nic “aber schau mal. Du bist nicht das einzige Geisterwesen hier in der Gegend. Wir kennen uns daher ein bisschen aus. Du brauchst gar nicht versuchen, uns in Gespräche zu verwickeln oder reinzulegen. Sag mir wo das Gold ist, dass man am Ende des Regenbogens findet! Wir haben eine ziemlich miese Reise hinter uns und entweder verkürzt du die Geschichte jetzt oder wir verkürzen dich und das will schon was heißen, denn besonders lang bist ja nicht gerade.”

“Huuh!” feixte der Ampferwichtel .

Also schaute ihn Nic mit jenem durchdringenden Blick an, dem kein mir bekanntes lebendes Wesen standhalten kann.

“Huuh.” seufzte der Ampferwichtel und schaute auf seinen unfertigen Schuh.

“Jaja!” sagte Nic.

Erstaunlich, denn Geisterwesen sind nicht im herkömmlichen Sinne lebende Wesen. Trotzdem war es dem kleinen Kerl sichtlich unangenehm. Er überlegte und sagte dann: “Erst müsst Ihr aber noch ein schwieriges Rätsel lösen, eine Frage beantworten!”

Nicht mit Nic! “Okay, machen wir, aber wir sollten uns erst einmal vorstellen. Mit wem haben wir denn die Ehre?”

“Seamus O’Hanlon, wenn es beliebt! Und wie ruft man euch?”

“Das hier ist Horatio Lemming und mein Name ist Nic Lemming, geborene Pannenbecker. Frage beantwortet – Rätsel gelöst. Her mit dem Gold!”

Nun war es am Ampferwichtel, ein paar ärgerliche Blicke zu verteilen. Dann aber seufzte er erneut und meinte: “Ach was soll’s. Das Gold ist hier unter dem Ginster direkt neben dem Findling.” Dann setzte er sich grummelnd, lehnte sich an den Stein und zündete sich eine lange Pfeife an.

Nic und ich gruben nun mit bloßen Händen unter dem Ginster und nach geschlagenen drei Stunden stießen wir tatsächlich auf die Kiste. Inzwischen war es fast dunkel. Die Truhe voller Goldstücke war allerdings zu schwer um sie zu zweit herauszuziehen. Verzweifelt blickten wir uns um, als ob uns dadurch irgendeine Hilfe hätte zuteil werden können. Wir waren mittlerweile richtig fertig und die Freude über das Gold wollte sich nicht mehr so richtig einstellen.

Inzwischen hatte der Ampferwichtel es sich richtig gemütlich gemacht und ein kleines Feuer angezündet über dem er etwas röstete, von dem man nicht wissen wollte was es war. Jedenfalls sah es wie eine Mischung aus Lurch und Vogel aus.

“An eurer Stelle würde ich mir gar keine großen Gedanken machen, wie ihr das Gold da raus und nach hause schaffen könnt.”

“Wieso nicht?” fragte Nic.

“Weil es Feengold ist. Um zwölf Uhr Mitternacht verschwindet es, haha.”

“Und du lässt uns stundenlang graben und sagst uns nichts davon?”

“Du hast nicht gefragt.”

“Du hast uns reingelegt!” schimpfte Nic.

“Wer hat denn damit angefangen?”

“Na, du!”

“Siehst du, daraus hättest Du lernen sollen.” lachte der Wichtel.

Nic ließ sich aufstöhnend ins nasse Gras fallen.

Der kleine Mann mit dem Dreispitz lächelte und zündete erneut seine Pfeife an. Dann nahm er einen tiefen Zug und sagte zu uns: “Also, ich mache euch einen Vorschlag zur Güte. Wenn ihr das Gold mitnehmt, habe ich es nicht und ihr könnt es auch nicht behalten. Dann hat also niemand was davon. Lasst es hier und ich werde euch im Tausch für das Gold eine besondere Gabe verleihen. Was haltet ihr davon?”

Ich ließ mich neben Nic ins Gras nieder und fragte: “Haben wir denn eine große Wahl?”

“Mein lieber Horatio!” grinste der Ampferwichtel mich an “Sicher habt ihr eine Wahl und ich denke, die Entscheidung fällt euch unter Einbeziehung aller Umstände sehr leicht. Insbesondere wenn man den Umstand mit einbezieht, dass ihr Euch angewöhnt habt, eurem selbstgebrauten obergärigen Bier lokale Halluzinogene wie Fliegenpilz oder Tollkirsche hinzuzufügen. Darf ich also mit einem “ja” rechnen?”

Wir murmelten beide ein “ja”, denn es war uns jetzt sowieso egal.

“Hat vielleicht noch jemand Lust über Nacht ein bisschen ins Feenreich mitzukommen, zu feiern und mit den Elfen einen Reigen zu tanzen?”

Da wir wussten, dass die Zeit im Feenreich anders vergeht und man frühestens nach dreihundert Jahren wieder in die Menschenwelt zurückkommt, während man dachte, man sei nur eine Nacht weg gewesen, verneinten wir die Frage. Schließlich musste sich jemand um den Hof kümmern.

“Schade, war einen Versuch wert” kicherte der kleine Mann. “Gehabt euch wohl!” dann machte er eine saubere Verbeugung und löste sich vor unseren Augen in Nichts auf.

“Eben war er noch da.” murmelte Nic. Dann schliefen wir ein und blieben traumlos.

Wir wachten erst am späten Morgen auf. Der Regen pladderte auf uns herab wie wir es seit Monaten gewohnt waren und wir hatten natürlich eine fette Erkältung. So saßen wir auf dem Kutschbock und ließen uns von unseren neuen Pferden gemächlich zurück zum Hof ziehen. Hinten auf dem Karren lagen der frisierte Rasenmäher und die Teile des Pogo-Stocks mit Hilfsmotor, die wir auf dem Rückweg noch hatten finden können. Konnte man ja alles bestimmt noch mal gebrauchen.

“Wenn das mal die Gabe sein soll.” schimpfte Nic nach einem besonders heftigen Nießanfall.

“Der hat uns doch wieder reingelegt” sagte ich zu ihr “Es gibt gar keine Gabe.”

“Die soll er sich auch dahin stecken, wo die Sonne nicht scheint. Jedenfalls wissen wir jetzt, warum Bauer Dröges Großvater kein Gold heimgebracht hat”

Und jedenfalls würden wir jetzt nicht mehr mit den anderen dem Gold am Ende des Regenbogens nachjagen. Daheim tranken wir jede Menge heißen Trum und versuchten zu vergessen. Bis auf das Füttern der Tiere verbrachten wir die nächsten Tage im Bett.

Am Ende des Regenbogens, so heißt es, findet man eine Truhe voll Gold.

Wenn Nic jemals herausfinden sollte, wer diese Geschichte in Umlauf gebracht hat, dann möchte ich nicht in dessen Gummistiefeln stecken.

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